Mit Sicherheit verunsichert
Eine aktuelle Studie belegt die Distanz zwischen Bevölkerung und Bevölkerungsschützern
von Nathalie Schopp
Das Projekt smarter befasst sich mit Kommunikation in Katastrophen. Es geht um technische, auch um juristische Machbarkeit: Verschlüsselungen, EU-Richtlinien, Schutz vor Cyber-Angriffen, Umsetzung. Am Ende steht eine Anwendung, die genutzt werden soll. Und man muss sich schon jetzt die Frage stellen: Wer wird sie nutzen? Und wor allem: Wie?
Bei smarter geht es deshalb nicht nur um Machbarkeiten, sondern auch um die Fragen, was eigentlich Kommunikation in Katastrophen ist und wie sich die Menschen im Krisenfall verhalten.
Wir wissen mittlerweile – und das ist fundiert wissenschaftlich belegt –, dass das Bild einer im Krisenfall irrational, sogar hysterisch reagierenden und hilflosen Bevölkerung falsch ist. Menschen handeln in kollektiven Ausnahmezuständen in der Regel sozial, rational und aktiv. Wir wissen auch: Der Zugang zu Informationen ist für die Selbsthilfefähigkeit der Betroffenen essenziell. Diese beiden Erkenntnisse sind die Basis für die Entwicklung der smarter-Anwendung. Eine „smarter-Kommunikation“ in einer Katastrophe würde sich radikal von bisher praktizierten Strukturen unterscheiden: Der professionelle Einsatzstellenfunk hat keine Schnittstelle zur Bevölkerung. Sprachrohr nach außen ist der Pressesprecher auf Weisung des Krisenstabs, Multiplikator sind die Medien.
Was aber, wenn übliche Informationswege ausfallen? Notrufnummer tot, kein Bürgertelefon möglich, Leitstellen nicht erreichbar, und die Batterien fürs Radio sind nicht auffindbar. Was wäre, wenn es nur eine Not-Kommunikation gäbe: Ich bilde mit meinem Smartphone gemeinsam mit anderen, infrastrukturlos erreichbaren Smartphones ein dezentrales Netzwerk. Kann ich so jemanden um Hilfe bitten – oder Hilfe anbieten? Kann ich peer-to-peer meinen Sohn suchen, meine Freundin, meine Mutter? Und erreiche ich möglicherweise sogar mit ein bisschen Glück zwar keinen Krisenstab, auch keine Leitstelle, aber vielleicht einen Angehörigen meiner örtlichen Feuerwehr?
Welches (psychosoziale) Lagebild formen die Informationen, die andere von mir erhalten, vor dem Hintergrund ihrer Erwartungshaltung?
Hurricane Katrina, der 2005 u.a. New Orleans völlig zerstörte und rund 1800 Menschen das Leben kostete, hat uns nicht nur gezeigt, dass sich Betroffene sehr effektiv gegenseitig unterstützen. Er hat auch gezeigt, dass überholte Vorstellungen Menschen schädigen: Krisenmanager setzten aus Angst vor (kriminellen) Plünderungen Polizeikräfte zur Verfolgung ein, statt die Anstrengungen auf die Unterstützung der Überlebenden zu konzentrieren.
Die Lehre daraus: Jenseits aller technischen Machbarkeit ist zu ermitteln, welche Vorstellungen welche Handlungen unterstützen – in unserem Fall kommunikative Handlungen. Dies untersuchte nun eine Studie der Ostfalia-Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kooperation mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit qualitativen Experteninterviews als Teilerhebung der sozialwissenschaftlichen smarter-Forschung. Befragt wurden zehn Feuerwehrmänner unterschiedlicher Hierarchiestufen aus vier verschiedenen Organisationen. Alle hatten Erfahrungen mit Großschadenslagen, acht von ihnen mit Spontanhelfern. Die Auswertung ergab u.a. folgende drei Kernergebnisse:
- Fast alle Befragten erleben das Verhalten der Bevölkerung im täglichen Einsatzgeschehen in vielen Fällen als problematisch. Das reicht vom immer weiter wachsenden Informationsbedürfnis über sinkende Selbsthilfefähigkeit und zunehmende Abhängigkeit von Versorgungsinfrastrukturen bis hin zu übersteigertem Anspruchsdenken öffentlichen Versorgern und Einsatzkräften gegenüber. Die Interviews weisen darauf hin, dass die Ausprägung dieser Wahrnehmung mit der Größe der Feuerwehr zuzunehmen scheint.
- Alle Befragten, die Erfahrungen mit Spontanhelfern hatten, erlebten dagegen das Verhalten der betroffenen Menschen in kollektiven, großflächigen Katastrophensituationen als überwiegend unterstützend, effizient und sozial.
- Alle Befragten rechnen dennoch im Falle eines fiktiven Katastrophenszenarios mit hilflosem und irrationalem Verhalten, das durch die Filterung von Informationen gesteuert werden muss.
Die Interviews lassen ein tiefgreifendes Problem erkennen, das für Handlungsorientierungen nicht nur in Katastrophensituationen prägend ist: Die gesellschaftlichen Bereiche Bevölkerung und Bevölkerungsschutz scheinen in einer fatalen Laien-Experten-Dynamik immer weiter auseinanderzudriften – das, was die Forschung schon lange anmahnt, bestätigt sich hier erneut. Dem wachsenden Expertentum im Bevölkerungsschutz steht eine Bevölkerung gegenüber, die mit der Praxis der Katastrophenbewältigung kaum Erfahrungen hat. Die Verletzlichkeit der Systeme jedoch erfordert zwingend ein engeres Zusammenarbeiten – spätestens das Elbhochwasser 2013 hat gezeigt, dass die Abarbeitung großflächiger Lagen ohne die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Bevölkerung und die Unterstützung anreisender Spontanhelfer kaum möglich ist. Die verwaltungsnahe Feuerwehr handelt dabei regelhaft in Abläufen, die – jenseits aller immer notwendigen Improvisationen – je nach Lage mehr oder weniger differenziert festgelegt sind. Gleichzeitig sind die Einheiten in ihrer sozialen Struktur sehr homogen, mit klar definierten Gruppengrenzen nach außen. Die Bevölkerung dagegen – heterogen und multikulturell –, zeigt in Krisenlagen ein emergentes, spontanes und disparates Bewältigungshandeln, je nach Möglichkeiten und Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Problem: Den professionellen Einsatzkräften erscheint dieses Verhalten chaotisch und (selbst-)gefährdend. Erlebt werden die zivilen Helfer als „eine völlig andere Welt“. Entsprechend existiert ein Steuerungs- und Führungsanspruch, der dem ureigenen Selbstverständnis der Experten in der Gefahrenabwehr entspringt: zu retten und zu schützen. Auch das als positiv erlebte Bewältigungsverhalten in realen Katastrophensituationen ändert nichts an dieser Haltung.
Was bedeutet diese zunehmende Distanz der gesellschaftlichen Bereiche für smarter? Kann eine peer-to-peer-Kommunikation unter diesen Vorzeichen partizipativ sein? Wie sind Kreativität und Eigeninitiative auf der einen mit dem Steuerungsanspruch auf der anderen Seite vereinbar?
Das Bundesministerium des Innern (BMI) empfiehlt in seinen Leitfäden zur Risiko- und Krisenkommunikation eine „Kommunikation auf Augenhöhe“ mit dem Bürger.
Davon ist der deutsche Bevölkerungsschutz noch weit entfernt. Die Praxis ist im Grundsatz – von allen situativen Ausnahmen abgesehen – instrumentell motiviert, nicht dialogisch. Gelingen kann eine smarter-Kommunikation zwischen den Systemen Bevölkerung – Verwaltung – Einsatzkräfte – jenseits aller technischen Machbarkeiten – jedoch nur partizipativ.
Im Laufe dieses Jahres folgen weitere Experteninterviews mit Angehörigen von THW, Feuerwehren, Hilfsorganisationen. Sie werden zeigen, wie belastbar die hier vorgestellten Ergebnisse sind, Kernstück einer Masterarbeit im Studiengang Sozialmanagement. Am Ende des sozialwissenschaftlichen Teilprojekts des BBK steht unter anderem die Formulierung von Handlungsempfehlungen, die sich an die professionellen Akteure des Bevölkerungsschutzes richten werden. Ziel: ein kommunikatives Zusammenrücken. Und damit: mehr Sicherheit.
Weitere Informationen: Nathalie Schopp, Bevölkerungsverhalten im Krisenfall – Deutungsmuster und Handlungsfolgen aus Sicht der Feuerwehren
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